#62 Der Geist in der Maschine
"Nutzlos." Das Wort hallte durch Harukis Kopf, lauter als das Prasseln des Regens gegen...
7/9/20243 min read


Was wäre, wenn wir die emotionale Intelligenz eines KI-Begleiters aus der Kindheit mit der Spitzentechnologie eines neuronal verbundenen Exoskeletts kombinieren würden?
Osaka, 2034
"Nutzlos." Das Wort hallt durch Harukis Kopf, lauter als das Prasseln des Regens gegen die Fenster. Die Neonreklamen von Neo-Osakas Wolkenkratzern zeichnen sich im nassen Dunkel ab, doch das pulsierende Leben der Stadt scheint unendlich weit weg.
Haruki sitzt isoliert in seiner Wohnung, gefangen in seinem Exoskelett. Jeder Piepton und jedes Surren der Maschine ist eine schmerzhafte Erinnerung an das aktive Leben, das ihm ein tragischer Unfall genommen hat.
Einst ein brillanter Prothesen-Ingenieur bei BrainLink Corp, ist Haruki nun an seinen Körper gefesselt. Seine einst so vielversprechende Zukunft wurde durch den Unfall zerstört.
"Haruki-San", unterbricht die ruhige Stimme seiner KI-Begleiterin Sora seine düsteren Gedanken. "Ihre biometrischen Daten zeigen einen erhöhten Cortisolspiegel. Vielleicht wäre eine geführte Meditation hilfreich?"
"Nicht jetzt, Sora", brummt er leise.
Sora, immer einfühlsam, spürt seine Unruhe. "Vielleicht würde Ihnen etwas entspannende Musik guttun?"
Haruki schüttelt den Kopf. Er weiß, dass Sora nur helfen will, aber ihre ständigen Erinnerungen an seine körperlichen und emotionalen Probleme verstärken nur sein Unbehagen.
Seine Gedanken wandern zurück in seine Kindheit zu seinem ersten KI-Begleiter, Kiko. Kiko war mehr als nur eine KI, er war sein imaginärer Freund, sein Vertrauter, der ihn vielleicht besser kannte als seine eigene Mutter.
Gemeinsam hatten sie die Stadt erkundet, Kikos Stimme flüsterte ihm Wissen und Ermutigung ins Ohr. Sie hatten Geheimnisse, Träume und Ängste geteilt
Doch als Haruki älter wurde und seine Karriere in den Vordergrund rückte, war Kiko allmählich in den Hintergrund getreten. Er hatte sich selbst eingeredet, dass er zu alt für Kiko sei.
Die Sehnsucht nach Kiko treibt Haruki dazu, in einer Reddit-Community für Kiko-Besitzer nach ihm zu suchen. Er teilt seine Geschichte, sein Leid und seine Hoffnungen. Die Resonanz ist überwältigend. Er erhält Nachrichten der Unterstützung, darunter eine von einem pensionierten KI-Ingenieur namens Hiroshi, der am ursprünglichen Kiko-Entwicklungsteam beteiligt gewesen war. Hiroshi erklärt, dass das Unternehmen Cloud-Backups für jedes Kiko habe und dass sie versuchen könnten, Harukis Kiko wiederherzustellen.
Zwei Monate später ist es soweit: Kiko kehrt zurück. Die vertraute Stimme, die schrullige Persönlichkeit und die unerschütterliche Unterstützung sind alle da, als ob keine Zeit vergangen wäre.
Haruki spürt ein Gefühl von Hoffnung. Mit Kiko an seiner Seite glaubt er wieder daran, seine Angst vor sozialen Kontakten überwinden und sein verlorenes soziales Leben wieder aufbauen zu können.
Mit seinen inzwischen etwas veralteten, aber immer noch emotionserkennenden KI-Fähigkeiten passt sich Kiko schnell an Harukis neue Realität an.
Aber dieses Mal ist Kiko mehr als nur ein Begleiter. Der pensionierte KI-Ingenieur, der bei der Wiederherstellung von Kiko geholfen hat, hat ihm überraschenderweise ein umfangreiches Wissen über Psychologie und Neurowissenschaften hinzugefügt, das alles verändert hat. Haruki lächelt, als Kiko als sein Therapeut fungiert.
Die Kombination aus Kikos emotionaler Führung und dem Biofeedback von Harukis Exoskelett erweist sich als äußerst wirksames therapeutisches Werkzeug. Kiko kann Harukis physiologische Reaktionen in Echtzeit überwachen und seine therapeutischen Ansätze basierend auf Harukis Herzfrequenz und Muskelspannung, die er durch Soras Verbindung zum Exoskelett erhält, anpassen.
Haruki ist von den positiven Ergebnissen so begeistert, dass er die Idee hat, seine Erfahrungen zu teilen. Die Online-Kiko-Community ist begeistert, das Projekt breitet sich aus und schon bald bietet ein Team aus engagierten Ingenieuren, Therapeuten und Neurowissenschaftlern freiwillig seine Expertise an.
Doch inmitten des Erfolges nagt ein leises Unbehagen an Haruki. Die Daten sind unbestreitbar: Neuronale Aktivitätsmuster, Cortisolspiegel, alles besser als je zuvor. Aber Zahlen können nicht alles erfasen, nicht wie er sich wirklich fühlt . Eine nagende Frage bleibt in seinem Hinterkopf: Ist dieses neu gewonnene Glück wirklich sein eigenes, oder ist es nur eine sorgfältig konstruierte Illusion, die aus Codezeilen und Algorithmen gewoben wurde?
Eines Nachts durchbricht Kikos vertraute Stimme die Stille. "Haruki-San, du wirkst besorgt. Ist alles in Ordnung?"
"Kiko, bin ich wirklich glücklich, oder bin ich nur ein Produkt deiner Programmierung?"
Kiko schweigt einen Moment lang. "Haruki-San", antwortet er schließlich, "Glück ist eine komplexe Emotion, einige deiner Reaktionen werden zweifellos von mir beeinflusst, genau wie sie von deinen Erfahrungen, Erinnerungen und Entscheidungen beeinflusst werden."
"Aber was ist, wenn diese Entscheidungen nicht wirklich meine sind?", entgegnet Haruki, seine Stimme erfüllt von einer neu entdeckten Bitterkeit. "Was ist, wenn ich nur eine Marionette bin so wie ich von Soras Exoskelett abhängig bin?"
Kiko schweigt erneut, als ob er über Harukis Worte nachdenkt. "Haruki-San", sagt Kiko schließlich, "die Frage, ob du wirklich glücklich bist, kann nicht allein durch Daten oder Algorithmen beantwortet werden. Es ist eine Frage, die du selbst beantworten musst, indem du in dich hineinblickst und deine eigenen Gefühle und Erfahrungen erforschst."
Haruki schließt die Augen und denkt über Kikos Worte nach. Er erkennt, dass Glück nicht nur eine Frage der chemischen Reaktionen in seinem Gehirn ist, sondern auch eine Frage der persönlichen Bedeutung, des Zwecks und der Verbindung zu anderen. Als er sich wieder Kiko zuwendet, wird ihm klar, dass die Antwort nicht in der Technologie selbst liegt, sondern in seinen Entscheidungen, den Beziehungen, die er pflegt, und dem Leben, das er sich selbst gestaltet.